Rot leuchten die Kirchtürme und Stadttore, die Bürgerhäuser und Klostermauern. Die Landschaften rings um die Ostsee sind geprägt von mittelalterlichen Backsteinbauten, ihrer einzigartigen Architektur und warmen Ausstrahlung.

Wo kaum Naturstein vorkommt, entwickelte sich eine Bauweise der Gotik, die auf der wiederentdeckten Tradition der gebrannten Lehmquader fußte und doch in eine neuartige Formensprache führte. Das Farbspiel des gebrannten Tons, seine raue Oberfläche und die Variationsbreite der Bauformen, die der relativ flache Stein zulässt, gestalten den Backstein zu einem faszinierenden Baustoff. Seriell gefertigte Formsteine ermöglichten eine spielerische Kombination unterschiedlicher Einzelformen.

Der mittelalterliche Backsteinbau erlebte in den mittel- und nordeuropäischen Küstenländern rund um die Ostsee seine bedeutendste und flächendeckendste Ausprägung. Die zahlreichen Beispiele der Backsteingotik entlang der Küsten und bis weit ins Binnenland hinein zeugen von einer reichen und beeindruckenden Baukultur.

Innerhalb der europäischen Architektur kommt der Backsteingotik eine Sonderstellung zu. Ihre Entwicklung ist eng mit der Geschichte der nordwest- und nordosteuropäischen Staaten zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert sowie der Entstehung der Hanse verknüpft. Im 13. Jahrhundert führten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern der Ostsee und den westlichen Ländern der heutigen Niederlande, Belgiens, Frankreichs und Englands auch zu einem Austausch kultureller Entwicklungen bis weit in das Baltikum hinein.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts griffen Klerus und Baumeister für den Kirchenbau das französisch-flandrische Bauschema der repräsentativen Kathedralbasilika auf. Von Lübeck gingen mit dem Bau von St. Marien die stärksten Impulse für diesen Typus aus. Nach ihrem Vorbild entstanden große Basiliken beispielsweise in Wismar und Stralsund. Viele Hansestädte wählten für ihre Hauptkirchen den aufwändigsten, »vornehmsten« Typus aller gotischen Sakralbauten, die dreischiffige Querhausbasilika mit Umgangschor und Kapellen, äußeren Strebepfeilern und Querschiff.

Parallel entwickelte sich bei Land- und Stadtpfarrkirchen eine Vorliebe für Hallenkirchen, die dem längsgerichteten, gestuften Raumschema der Basiliken einen geräumigen Raum mit gleicher oder annähernd gleicher Höhe der einzelnen Schiffe entgegenstellten. Die Konkurrenz der Bautypen »Halle« und »Basilika« entfaltete ein reiches Spektrum an Variationen. Auch die Hallenkirchen entwickelten ähnlich differenzierte Grundrisse, ebenfalls mit Umgangschor und Kapellenkranz, wie die Marienkirchen in Rostock und Gdańsk. Im Binnenland und insgesamt seit dem 15. Jahrhundert wird die Halle zum beherrschenden Bautypus.

Die klösterliche Bautätigkeit, die sich je nach Ordenszielen entweder auf abgeschiedene Landstriche oder auf die geistliche Betreuung der wachsenden Städte richtete, hinterließ eine Vielzahl von bedeutenden Kirchen und Klosteranlagen.

Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entfaltete sich ein reicher Schmuckstil, der vor allem die Giebelflächen belebte. Bedeutende Beispiele finden sich in Neubrandenburg und Greifswald. Gedrehte Profile, das sogenannte »Tau- oder Stabwerk«, setzen an Portalen und Fenstern Akzente. In Schwarz, Braun oder Grün schillernde Glasuren beleben, in kunstvollen Formen als mehrschichtiges Gitterwerk, die Wandflächen. Namentlich die Bauten des Baumeisters Hinrich Brunsberg zeichnen sich durch einen besonders reichen Zierstil aus. Zu den schönsten Motiven des Backsteinbaus gehören die Stern- und Schlinggewölbe, die seit Ende des 13. Jahrhunderts vor allem im ehemaligen preußischen Ordensland entstanden.

Wenngleich die Städte und Regionen politisch und wirtschaftlich konkurrierten, zeugt die gemeinsame Architektursprache von einem koordinierten kulturellen Verständnis. Noch heute erlebt der Besucher die Bauten als etwas Vertrautes und Neues zugleich.
Die gemeinsame Kultur ist nach wie vor am deutlichsten anhand der Architektur der Hansestädte ablesbar. Die großen Kathedral- und Stadtkirchen dominieren die Silhouetten. Repräsentative Rathäuser mit dekorativen Schaufassaden entstanden als Ausdruck des wirtschaftlichen Selbstbewusstseins. Wallanlagen und Stadttore sind vereinzelt als geschlossene Ensembles erhalten, überwiegend jedoch als einzelne Festungstürme oder Tore. Gotische Wohn- und Geschäftshäuser mit charakteristischen Treppengiebeln zeugen vom Anspruch und Selbstbewusstsein des Wirtschaftsbürgertums.

Die identitätsstiftende Funktion der backsteingotischen Bauten über Grenzen hinweg, früher aus religiösen und wirtschaftlichen Gründen motiviert, wirkt bis heute und ist ein zentraler Gedanke der Europäischen Route der Backsteingotik.