190 Jahre Schinkel-Restaurierung

190 Jahre Schinkel-Restaurierung

Am 20. Juni 2020, dem diesjährigen Tag der Backsteingotik, feiert die St.-Marien-Kirche Frankfurt (Oder) ein besonderes Jubiläum. Vor genau 190 Jahren wurde der Sakralbau nach rund vierjähriger Instandsetzung mit einem Festgottesdienst eingeweiht. Christian Wilhelm Spieker berichtet 1835 in seiner Chronik über diese Feierlichkeiten:

„Die Einweihung der Kirche geschah mit angemessener Feierlichkeit. (…) Auf dem siebenarmigen Leuchter und den schöngeschmückten Altären brannten die mächtigen Wachskerzen. Mehrere Gaben und Geschenke zum Schmuck des Heiligthums waren auf dem Altar niedergelegt. Aller Herzen waren erfüllt von einer heiligen Freude und ein tiefempfundener Dank stieg aus der Gemeinde zu dem Gott der Gnade empor, der beim Einsturz des Thurmes, beim Abbrechen der morschen Ruine (…) und beim inneren Ausbau der Kathedrale alles Unglück abgewendet (…).“ (S. 236)

Ausschlaggebend für die umfassende Sanierung des Gebäudes war der Einsturz des Südturmes Pfingsten 1826. Wie es in späteren Jahrhunderten noch mehrfach der Fall sein sollte, ging die Initiative zur Wiederherstellung der Marienkirche von den Stadtbewohnern aus, denn bereits im Jahr 1825 forderten mehrere achtbare Bürger bei den Stadtvätern eine „Totalreparatur“, mit der Begründung, dass es sich bei der Marienkirche um „das älteste und herrlichste Monument unserer Vorzeit“ handele.

Schließlich nahm sich der preußische Oberbaurat Karl Friedrich Schinkel der Kirche an. Schinkel kam zunächst persönlich nach Frankfurt (Oder) und verfasste auf Grundlage seiner Analyse einen 20-seitigen Bericht. Der vorläufige Kostenvoranschlag belief sich auf 53.427 Taler. Am Ende kostete die Instandsetzung mit fast 80.000 Talern aber deutlich mehr.

Wie es dem damaligen Zeitgeist entsprach, wurde der Innenraum im Stil der Neugotik überformt. Als Ideal galten klar strukturierte Räume mit schlichtem Dekor. Bei der Restaurierung ging leider viel mittelalterliche Bausubstanz verloren. Ein paar Beispiele: ein gotisches Gestühl mit geschnitzten Figuren verschwand, ebenso vier Gemälde sowie Schmuck- und Bildtafeln von der Rückseite des Hochaltars, die offenbar gemeinsam mit altem Holz aus der Kirche verkauft wurden.

Im nächsten Schritt erfolgte die Verkleidung der Pfeiler und Wände mit idealisierten Spitzbögen und schmückenden Kapitellen aus Stuck. Von den acht Konsolköpfen, den Figuren auf den vorspringenden Tragsteinen im oberen Bereich eines jeden Chorpfeilers, blieben insgesamt nur zwei erhalten. Ein Teil der kunstvoll ausgeführten Konsolen aus dem 13. und 14. Jahrhundert ist heute in der Sakristei von St. Marien zu besichtigen.

Eine Beschreibung des neu gestalteten Kircheninneren findet sich ebenfalls in Oberpfarrer Spiekers Chronik:

„Der innere Anstrich der Kirche ist ein mattes Pfirsichroth. Die Kapitäler der Säulen (…) haben eine weiße Farbe erhalten. Die Gewölbe der Decke sind himmelblau, die Rippen derselben weiß angestrichen. Dieser blaue Anstrich wird von Vielen gemißbilligt, weil der die Kirche drückt, die Höhe scheinbar verkümmert (…).“ (S. 25)

Auch die Chorfenster von St. Marien erstrahlten nun in neuem Glanz: Sie wurden zwischen 1828 und 1830 in ihre Einzelteile zerlegt und gereinigt, gesprungene Scheiben sicherten die Restauratoren mit Bleiplomben, größere Fehlstellen schlossen sie mit bemalten Glassegmenten oder Feldern aus anderen Fenstern. Anschließend wurden die Scheiben teilweise in veränderter Reihenfolge mit neuen Bleifassungen zusammengesetzt. Diese Neuordnung der 117 Scheibensegmente wirft bis heute Fragen auf, denn es ist nicht klar, ob die Neuordnung der Fensterfelder gewollt oder aus Unwissenheit geschah. Darüber hinaus entwarf Schinkel sieben weitere ornamentale Buntglasfenster für den Umgangschor, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, genau wie die St.-Marien-Kirche selbst durch den verheerenden Brand am 24. April 1945.

Die mittelalterlichen Fensterfelder blieben nur erhalten, weil sie vorher ausgebaut worden waren. Sie gelangten 1945 nach Leningrad (St. Petersburg) und wurden 2002 von der russischen Regierung zurückgegeben.

Text:
Henriette Brendler anlässlich des Tags der Backsteingotik 2020

Quellenauswahl:
• Cante, Andreas: Baugeschichte, Ausstattung und Restaurierungen der Frankfurter St. Marienkirche im historischen Überblick. In: Targiel, Ralf-Rüdiger (Hrsg.): Die Marienkirche zu Frankfurt (Oder). Stolz der Stadt – einst und jetzt. Frankfurt (Oder) 2005, S. 11–35.
• Deiters, Maria/Kemmether, Gotthard (Hrsg.): Bürger, Pfarrer, Professoren. St. Marien in Frankfurt (Oder) und die Reformation in Brandenburg. Frankfurt (Oder) 2017.
• Spieker, Christian Wilhelm: Beschreibung und Geschichte der Marien- oder Oberkirche zu Frankfurt an der Oder. Ein Beitrag zur Kirchen- und Reformationsgeschichte der Mark Brandenburg. Frankfurt an der Oder 1835.