Wie aus Backsteinen Kathedralen wurden

Wie aus Backsteinen Kathedralen wurden


Wir möchten uns an dieser Stelle einmal kurz für die Reiseführer bedanken, welche sie uns zukommen lassen haben. Die Gäste haben sich sehr darüber gefreut. Wir hoffen in Zukunft weitere Gruppen für die Backsteingotik gewinnen zu können. Anbei übersende ich Ihnen zur Information einen kurzen Reisebericht unseres Gruppenleiters:

Studienreise des ökumenischen Bildungswerks Meersburg zu den UNESCO Welterbestätten der Hanseatischen Backsteingotik

Wo kaum Natursteine vorkommen, entwickelte sich eine besondere Bauweise der Gotik, die Backsteingotik, die auf der wiederentdeckten Tradition der gebrannten (gebackenen) Ziegel fußte. Ihre Entwicklung ist eng mit der Geschichte der Hanse verbunden, deren wirtschaftliche Beziehungen auch zu einem intensiven kulturellen Austausch mit fremden Ländern führten. Mitte des 13. Jhrh. griff man den französisch/flandrischen Stil einer repräsentativen Kathedralbasilika auf und schuf mangels natürlicher Steinvorkommen die Sonderform der Backsteingotik. Beispielgebend für diesen Bautyp ist die Marienkirche in Lübeck, nach deren Vorbild viele der Basiliken im Ostseeraum entstanden.

Folgerichtig besuchte die 19köpfige Gruppe des ökumenischen Bildungswerks zuerst Lübeck, das zur Hansezeit nicht nur im Baustil, sondern auch im Rechtswesen (Lübecker Stadtrecht) beispielgebend für viele Hansestädte war und unwidersprochen als Königin der Hansestädte bezeichnet wurde. Der in Lübeck zur Reisegruppe gestoßene Reiseleiter Martin Deppe aus Dresden führte während des Stadtrundgang am Vormittag in die Geschichte der Stadt ein und erläuterte vor allem bei der Besichtigung der Marienkirche und des Doms die Besonderheiten und speziellen Ausprägungen der Backsteinarchitektur. Aber er machte auch auf die Bausünden aufmerksam, die beim Wiederaufbau der im Krieg schwer getroffenen Altstadt gemacht wurden und bis auf den heutigen Tag noch gemacht werden. So präsentiert sie sich heute als ein heterogenes Gemisch aus mittelalterlicher Backsteinarchitektur, Gebäuden der Nachkriegsmodere und postmodernen Allzweckbauten aus jüngerer Zeit.

Nach so viel städtischer Architektur konnte sich die Gruppe auf dem Weg nach Wismar, der nächsten Station der Reise, bei der Besichtigung von Schloss Bothmer und einem Rundgang durch dessen Landschaftspark erholen. Dieses Kleinod barocker Backsteinarchitektur ließ sich Hans Caspar v. Bothmer, ein Chefdiplomat und Ratgeber des engl. Königs Georg II. und ersten Bewohners von Downing Street 10 im Stil eines engl. Landsitzes erbauen. Nach jahrelangem Leerstand und Verfall erwarb und restaurierte es das Land Mecklenburg-Vorpommern aufwendig, so dass dieser außergewöhnliche Landsitz nun mit seiner vornehmen Pracht der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Der Vormittag des dritten Tags war der Hansestadt Wismar gewidmet, deren Altstadt auch im Krieg erheblich zerstört wurde. Erst nach der Wende erfolgte ein behutsamer Wiederaufbau, der Altes, wo immer möglich, wieder aufbaute und Neues so in Lücken einfügte, dass ein stimmiges Stadtbild entstand und man einen Eindruck von der einstigen Schönheit der Stadt bekommen kann. Von den drei großen Hauptkirchen überstand nur die Nicolai-Kirche den Krieg unbeschadet, so auch ihre barocke Innenausstattung. Von der Marien-Kirche steht nur noch der 80 m hohe Turm. Die DDR-Regierung sprengte ihn nicht, wie das kriegsbeschädigte Langhaus, weil er als markantes Ansteuerungszeichen in den internationalen Seekarten verzeichnet ist. Auch die schwer getroffene St.-Georgen-Kirche wurde nach dem Krieg ihrem Schicksal überlassen und verfiel zusehends, bis sie die Deutsche Stiftung für Denkmalschutz als eines ihrer ersten Förderprojekte sichern und äußerlich restaurieren ließ. Der gänzlich leere und schmucklose Innenraum ist heute ein eindrucksvolles Beispiel für die Architektur der Backsteingotik. Die schieren Ausmaße der Kirchenschiffe und die klare Linienführung der Pfeiler und Gewölbe beeindrucken jeden Besucher.

Der Nachmittag war dann dem Bildhauer Ernst Barlach (1870 – 1938) im nahen Güstrow gewidmet. Eine Vielzahl seiner Skulpturen, die der Gruppe von einer sehr kompetenten Stadtführerin erläutert wurden, sind in der Gertruden-Kapelle, einer ehemaligen Friedhofskapelle, ausgestellt. Im ebenfalls backsteingotischen Dom konnte man besonders Barlachs „Schwebenden“ über dem Taufbecken bewundern. Ein kurzer Gang durch die Stadt zum Busparkplatz schloss diesen eindrucksvollen Abstecher nach Güstrow ab.

Während es am Vortag geregnet hatte, empfing strahlender Sonnenschein die Reisegruppe bei ihrer Weiterfahrt in Richtung Stralsund und sollte sie auch auf dem Rest der Reise begleiten. In Kühlungsborn, einem der ältesten Seebäder Mecklenburgs, stand mit einer Dampfzugfahrt der „Molli“, ein weiteres Schmankerl auf dem Programm. Die „Molli“, eine der ältesten Schmalspurbahnen der Welt, verbindet seit 1886 die Städte Kühlungsborn mit Bad Doberan und ist heute nicht nur eine beliebte Touristen Attraktion, sondern dient den Einheimischen das ganze Jahr über als ÖNPV. In Bad Doberan gilt das Münster, von den Zisterziensern im 13. Jhrh. erbaut, als „Perle der norddeutschen Backsteingotik“. Wegen seiner kurzen Bauzeit von nur 20 Jahren entstand ein stilistisch einheitlicher Sakralbau, der in den vergangenen Jahrhunderten kaum verändert wurde und mit seiner mittelalterlichen Innenausstattung die wechselhaften Zeiten von Krieg, Plünderung und Säkularisation fast unbeschädigt und unverfälscht auch mit seiner bunten Ausmalung überstanden hat.

Auf der Weiterfahrt nach Stralsund wurde ein kurzer Stopp in Rostock eingelegt, wo Reiseleiter Deppe seinen Zuhörern einmal mehr Bezüge des Backsteinbaus zur Neuzeit verdeutlichen konnte. Auch in der DDR hatte man die im Krieg zerstörte Altstadt historisierend nach sozialistischer Ideologie neu aufgebaut und schuf mit der Langen Straße eine breite Aufmarschstraße für Großdemonstrationen, die durch eine mit traditionellen Backsteinzierelementen und verspielter Dachornamentik geschmückten massiven mehrstöckigen, fast durchgängigen Häuserzeile beiderseits gesäumt wird. Dieser städtebauliche Versuch, Altes aufzugreifen und mit neuen Ideen zu verknüpfen, kann ebenso wenig überzeugen, wie das Nachkriegs-Sammelsurium in Lübeck.

Wie anders empfängt die Stadt Stralsund den Besucher! Nach der Wende wurde die Altstadt liebevoll restauriert und Lücken stilistisch stimmig ergänzt. Über allem thronen die drei großen Kirchen St. Marien, St. Jakobi und St. Nikolai, alle in schönster Backsteingotik ausgeführt. Vor allem der Alte Markt, umrahmt von der Nicolai Kirche und dem danebenstehenden Rathaus mit seinem filigranen gotischen Schmuckgiebel und von Bürgerhäusern verschiedener Stilepochen und Zeiten, zeugt vom Wohlstand der einstigen Hansestadt am Strelasund. Ein Abstecher nach Greifswald am Nachmittag rundete sowohl mit einem Gang durch den mittelalterlichen Stadtkern als auch mit dem Besuch des Doms, die Kenntnisse über die verschiedenen Bauformen der Backsteingotik ab. Besonders beeindruckend waren die in der Abendsonne rotglühenden Ruinen des Klosters Eldena, die der Maler Caspar David Friedrich, der berühmte Sohn Greifswalds, oftmals als Vorlage für seine romantischen Bilder wählte.

Nach so viel Backsteinarchitektur half ein Ausflug auf die Insel Rügen am nächsten Tag, den Kopf wieder frei zu bekommen. Doch nur die Natur zu genießen, war auch bei diesem Rügen Trip nicht vorgesehen. In der Residenzstadt Putbus hatte Fürst Malte außer seinem Schloss auch ein klassizistisches Hoftheater erbauen lassen, das nach aufwendiger Restaurierung nun wieder in seiner ursprünglichen Gestalt von 1826 erstrahlt und zum Besuch einlädt. In Bergen, dem Verwaltungsmittelpunkt der Insel, wurde die backsteingotische Marien-Kirche mit ihrer reichhaltigen barocken Ausstattung besucht, und im umtriebigen Seebad Binz eine Mittagspause eingelegt. Als Kontrapunkt zu den mittelalterlichen Baudenkmälern durfte ein Besuch des „Kolosses von Prora“ nicht fehlen, ein 4,5 Km langer Gebäudekomplex aus der Nazizeit, in dem bis zu 20.000 „Volksgenossen“ ihren Ostseeurlaub verbringen sollten. Heute versucht man mit verschiedenen Nutzungen von einer großen Jugendherberge bis zu Luxusappartements den tristen Gebäuden neues Leben einzuhauchen. Natürlich durfte die Reisegruppe auch einen Blick auf die berühmten Kreidefelsen am Königsstuhl werfen und ließ sie an Capar David Friedrichs Bild „Kreidefelsen auf Rügen“ denken.

Am 7. Tag hieß es, Abschied von der Ostsee zu nehmen und auf der Rückfahrt in den Süden noch einige Sehenswürdigkeiten zu besuchen, um von der Backsteingotik auch einen Blick auf die Moderne zu werfen. Letzte Highlights der Backsteingotik waren die Marien-Kirche in Prenzlau mit ihrer prächtigen östlichen Schaufassade, die wegen ihrer anspruchsvollen Konstruktion einmalig in der Backsteingotik ist und das Zisterzienser Kloster Chorin. Diese frühgotische Klosteranlage verfiel nach der Säkularisation, bis sie Friedrich Schinkel Anfang des 19. Jhrh. wiederentdeckte, und ihre Sicherung, Erhaltung und Restaurierung veranlasste. Anfang des 20. Jhrh. veranstalteten dort die Brüder Max und Bruno Taut aus Berlin Treffen mit Künstlerkollegen und wurden durch die klare Formensprache der Backsteingotik zu ihrer Architektur der „Neuen Sachlichkeit“ inspiriert, die sich später auch in der Grundkonzeption des Bauhauses in Dessau wiederfand. Mit einer Führung durch das Dessauer Bauhausgebäude schloss sich deshalb für die Reisegruppe der inhaltliche Kreis der Studienreise zur Hanseatischen Backsteingotik und zeigte ihr, wie Reiseleiter Deppe während der ganzen Reise in seinen profunden Erläuterungen oftmals betonte, dass in der Architektur „immer alles mit allem zusammenhängt“.

In Dessau verabschiedete die Reisegruppe ihren Reiseleiter mit herzlichem Dank für seine kompetente Begleitung während der vergangenen Tage. Denn er fuhr am Abend in seine Heimatstadt Dresden zurück. Am folgenden Tag erreichte die Reisegruppe unter der umsichtigen Fahrweise des Busfahrers Thomas Flaig von der Fa. Petrolli Reisen GmbH wohlbehalten Meersburg voll neuer Eindrücke. Diese achttägige Studienreise des ökumenischen Bildungswerks wurde unter Assistenz des Reisebüros Bregenzer von der Fa. Univentra aus Hamburg vorbildlich organisiert. Wertvolle Anregungen zum Reiseverlauf kamen von Pfarrer a.D. Jan Badewien aus Überlingen, der auch die Reise mit begleiten sollte. Leider verstarb er plötzlich im vergangenen Frühjahr.

Hans-Heinrich Gerth